Monday 6 December 2010

Dichtes Leben

4. Dezember

Wow, schon Dezember. Die Zeit fliegt für mich. Kein Wunder, bei  all den Dingen die hier passieren. Das war auch der Grund, warum ich gerade etwas strauchle mit der regelmäßigen Berichterstattung vom südlichen Ende (oder Anfang) der Welt. Ich versuche mal etwas zusammenzufassen, was hier gerade passiert und was mich so beschäftigt. Alltag ist derzeit übrigens Fehlanzeige. Wie gesagt, ich komm mit nichts hinterher und wenn meine fürsorglichen Mitbewohner nicht wären würde ich wahrscheinlich nur noch Toast mit Erdnussbutter und Marmelade essen.

Beginnen wir mit dem National Workshop von SEED. Der fand dieses Jahr auf der Permakultur Farm Berg-en-Dal (ihr habt es schon erraten, das ist Afrikaans für „Berg und Tal“) in der Klein Karoo statt. Auf dem Workshop, zu dem alle SEED Mitarbeiter aus ganz Südafrika angereist waren, sollten Teamgeist gestärkt, Stärken und Schwächen von SEED erkannt und besprochen und die Ziele für das kommende Jahr festgelegt werden. Wir Freiwilligen, also Nadine, Valerie und ich durften zum Workshop als „kitchenslaves“ (Küchensklave) bzw. „kitchenfairies“ (Küchenfee). Will heißen wir haben die vier Tage für die gesamte Mannschaft gekocht und hatten daher wenig Zeit den Vorträgen und Aktivitäten der anderen beizuwohnen. Naja, wir sind halt die Freiwilligen und keine richtigen Angestellten von SEED. 

Berg en Dal ... irgendwo im Nirgendwo
Nichts desto trotz war es eine grandios Erfahrung, da die Farm sprichwörtlich irgendwo im Nirgendwo war.
Das Leitungswasser kam aus dem Fluss und war nur zum Waschen geeignet. Trinkwasser kam aus großen Wassertanks, die mit Regenwasser gefüllt waren.
Strom gab es nur, wenn die Photovoltaikanlage genug produziert hatte und die Autobatterien voll waren.
Kühlschrank: Fehlanzeige
Toilette: Komposttoilette wo jedes Geschäft mit einer Hand Sägespäne besiegelt wird
Handyempfang: spärlich
Wilde Tiere: einige, auch mal giftige Baum-Schlangen im Garten und Mäuse in der Küche
Ruhe: reichlich
Nette Menschen: Zu Hauf
Essen: ausschließlich Vegetarisch aber saugut
Landschaft: Karg aber grandios. Wüste eben
Unterkunft: Zelt
Nächte: eisig
Tage: heiß  

Unser morgentlicher Weg zum Haupthaus
Kompostklo (links) und Outdoor-Bad (rechts)
Dornen ueberall

Ich kann gar nicht richtig beschreiben, was ich alles Erlebt habe dort. Es war einfach eine Erfahrung, ein Gefühl das zurück bleibt. Ich kann nur sagen, es tat und tut zwischendrin ganz gut sich auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren. Scham gehört z.B. nicht dazu. Da es kein Licht gab, nirgends, und die Toiletten draußen waren mussten wir uns immer gegenseitig leuchten, damit wir auch das Loch trafen. Scham ist da völlig fehl am Platz und wir haben uns schnell davon verabschiedet. 

Yoli auf der Suche nach Handyempfang
Keim Empfang, dann halt tanzen und die anderen anfeuern
Into the wild
Wir haben eine Schule besichtigt, die nach allen Regeln der Kunst und Permakultur auf Vordermann gebracht wird. Wir haben unglaublich intelligente Taktiken gesehen um das wenige Wasser das in der Karoo vom Himmel fällt möglichst effizient zu nutzen. Es war wirklich toll eine SEED-Schule außerhalb von unseren Cape-Flats zu sehen. 

Kastenbeete mit Gemuese und Wein
Genialer Outdoor-classroom ... da will man doch wieder Schueler sein
An einem Tag haben wir dann auch so etwas wie eine Klettertour durch ein Tal mit einem kleinen Bach gemacht. An manchen Stellen musste man schwimmen um weiter zu kommen. Aber wie ich schon sagte sind die Menschen hier sehr unkompliziert, weshalb wir samt Klamotten ins Wasser gesprungen sind. Daher habe ich leider auch keine Fotos von Kloof, diesem wunderbaren Ort der noch so ganz der Natur zu gehören scheint. Ich bin barfuss über große Felsen geklettert bin mit Schuhen durch den Bach gewatet, hab mich durchs Gebüsch geschlagen, wurde von kleinen Fischen angeknabbert, bin im gleichen Wasser geschwommen wie eine Wasserschlange und habe mich auf einem Stein von der Sonne trocknen lassen. So fühlt sich Leben an!

Aloe in ihrer natuerlichen Heimat
Ganz abgesehen davon dass ich nicht weiß wo in Deutschland man so etwas erleben kann, bin ich mir fast sicher, dass die meisten Deutschen eine solche Tour als gefährlich ansehen würden. An vielen Stellen hätte man fallen können und es wäre schwer einen verletzten aus Kloof zu transportieren. Naja, wie gesagt, das wird hier alles nicht so eng sehen.

In diesen Räumen wurde die vegetarische Küche neu erfunden.
Oase in der Wueste ... der Blick aus dem Kuechenfenster
Obwohl wir Freiwilligen nicht am Workshop teilgenommen haben, habe ich unglaublich viel für mich dazugelernt. Es hat mich z.B. unglaublich beeindruckt, dass die Menschen dort kein negatives Wort verlieren. Über nichts und niemanden. Alle sind unglaublich positiv eingestellt. Es gibt keine Probleme nur Challenges (Herausforderungen) um deren Lösung man bemüht ist. Man beschwert sich nicht, sondern ist auf die Lösung des Problems, äh der Herausforderung fixiert. Es wird sehr viel gelacht und alle haben eine sehr gelassene Sicht der Welt. Wie gesagt, es gibt keine unlösbaren Probleme nur große Herausforderungen. 

Die gesamte SEED-Crew von Suedafrika
Nach Berg-en-Dal und zurück in der kapstädter Realität habe ich nach dem ersten Freudentaumel über mein Bett mit Matraze (wir mussten in Berg-en-Dal campen und 4 Nächte auf der Isomatte...langsam bin ich zu alt dafür) eine überraschende Neuigkeit mitgeteilt bekommen: Noch in diesem Jahr müssen wir aus unserem Haus ausziehen, da der Hausbesitzer es zurück will. Eigenbedarf. Da wir einen 6 Monatsvertrag haben müssen uns die Landlords (Hausverwaltung) ein neues Haus besorgen, aber das erste das man meinen Mitbewohnern gezeigt hat, war grauenhaft, wie sie selbst sagten. Naja, mal sehen wo das noch hinführt, aber so wie es aussieht muss ich am 31. Dezember umziehen. Ich hoffe das letzte mal. Also falls mir jemand Post schicken will könnte es sein, dass sie mich hier nicht mehr erreicht. Sobald ich meine neue Adresse habe schicke ich sie euch. 

Dieses Wochenende ziehe ich in ein neues Zimmer. Bevor es soweit ist, zeige ich euch noch ein Foto von meinem noch-Zimmer, das ich sehr geliebt habe. Aber auch das neue Zimmer wird toll und ich freue mich sehr auf meine neue Zimmergenossin Patricia.

Die Nacht von Freitag auf Samstag hat dann die nächste Sache geliefert, die so gar nicht nach Alltag riecht. Wir haben derzeit das Obz-Festival bei uns. Obz ist die Kurzform für Observatory, dem Stadtteil in dem wir leben. Das Festival ist ganz groß, die ganze Hauptstraße des Viertels ist abgesperrt und man kommt nur gegen Eintritt rein. Deshalb kann ich euch diesen Blogeintrag nicht so aktuell online stellen wie ich ihn geschrieben habe. Unser Internetcafe liegt im „Sperrbezirk“.
Das Festival bedeutet neben Musik, netten Ständen und Leuten natürlich auch viele Betrunkene. Alter saufen die hier viel, wie Anna sagen würde. Das ist echt nicht normal. Und die afrikanischen Männer gehen dann gerne mal sehr offensiv auf die Jagd, vorzugsweise nach weißen Mädels. Das finde ich echt unangenehm wenn sie mit ihrer Bierfahne vor mir stehen und irgendeinen Blubb von sich hinsabbeln. Wenn sie dann auch noch touchy werden, also versuchen an einem rumzufingern, hörts bei mir auf. Dann heißt es Flucht ergreifen oder sich hinter einem unserer Jungs zu verstecken. Wir Frauen sind hier echt Freiwild für so manche Männer. Aber keine Angst, ich pass auf mich auf. 

Aber zurück zu letzter Nacht. In einer Disco ist es, sehr wahrscheinlich unter Alkoholeinfluss, dann zu einer Schlägerei gekommen. Ein paar Mitbewohner von mir waren in der Disco als es losging. Im Gerangel wurde einer Mitbewohnerin die Tasche mit Handy, Kamera und Haustürschlüssel geklaut. Ein paar Minuten später, die Raufbolde haben den Streit nach draußen verlegt, kommt die Polizei in die Disco und erklärt die Party für beendet, da gerade einer der beiden Streithähne gestorben sei. Sein Gegner hat ihn mit einer zerbrochenen Bierflasche so böse verletzt, dass er auf der Straße verblutet ist. Vor unserem Internetcafe. Meine Mitbewohnerinnen haben die Leiche noch gesehen und sind entsprechend verstört nach Hause gekommen.
Am nächsten Morgen stand dann der nächste Schock an, in der gestohlenen Tasche war einer der Hausschlüssel zu unserem Noch-Domizil. Es wäre möglich, dass sogar noch das Schild mit der Adresse dranhängt. So genau wissen wir es nicht. Wir sind jedenfalls wachsam, wer gerade unser Haus betritt.

Ich kann euch sagen, manchmal fühlt es sich echt zuviel an, was hier passiert. Wie gesagt, es kommt alles Schlag auf Schlag und ich hab gar nicht so recht Zeit darüber nachzudenken. Ich weiß noch gar nicht recht ob es schlimm ist, dass der Schlüssel weg ist oder nicht. Unsere Landlords sind da gelassen und wollen nur den Schlüssel nachmachen lassen. Von Schlösser auswechseln keine Spur. Unsere afrikanischen Freunde sagen uns, dass das einfach ein Taschendieb war und der mit dem Schlüssel nichts anfangen wird, weil er nur auf das Geld scharf ist.
Um die Sache noch absurder zu machen hat Vladimir heute sogar mit dem Dieb telefoniert, über das Handy in der geklauten Tasche. Und der Dieb will die Sachen an einem Treffpunkt zurückgeben, wenn... ja, das wusste er eigentlich auch noch nicht so genau, was er dafür will. Ist das nicht verrückt?

Wie gesagt, all diese Sachen sind ganz neu passiert und wir wissen noch nicht so genau wie es weitergeht. Das Schlüsselthema ist jedenfalls spätestens am 1. Januar gegessen, wenn wir hoffentlich ein neues schönes Heim beziehen. Wer weiß wofürs gut ist, wa?

Ach, und bevor ichs vergesse: Ich habe heute, Samstag, gearbeitet auf unserem Community Market, der sehr schön war nur leider (noch) nicht so viele Leute angezogen hat. Das war auch nochmal ein ganzes Stück Arbeit, aber jetzt freue ich mich auf zwei freie Tage an denen ich erstmal ne Auszeit nehme von diesem intensiven Leben. Mal sehen, was ich mache, vielleicht Strand, vielleicht besuche ich auch endlich mal den Paulaner Biergarten in der City. Das ist schon wieder so surreal. Biergarten am 2. Advent.
Aber hey, heute hab ich mir schon mal einen Obazdn zusammengezimmert. Bin halt doch in erster Linie Exilbayerin. ;)  

Also ihr Lieben. Ich wünsche euch einen schönen Advent und denkt ab und zu an mich wenn ihr vor „unlösbaren“ Herausforderungen steht. Ich denk an euch und schick euch warme Grüße vom Kap.

2 comments:

  1. Oh, das sieht ja wirklich aus wie in "Into the Wild"! :) Mal wieder erstaunlich, dass wir genau zur gleichen Zeit so intensive Erlebnisse hatten! Mein Bericht erfolgt bald... Drueck dich!!

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